Eigentlich wollte ich nie über politische Themen schreiben, allerdings hörte man in den letzten Tagen wieder vermehrt einige Politiker vom „Jobmotor Mittelstand“ reden. Und hier schleicht sich bei mir immer wieder das Gefühl ein, dass diese Politiker absichtlich die Fakten verschweigen bzw. diese nicht kennen. Auch werden immer wieder Programme zur „Förderung des Mittelstandes“ verabschiedet, nur sind diese auch sinnvoll?
Da ich dieses Thema bereits im Rahmen meines Masterstudiums näher untersucht habe, möchte ich zu diesem Tema gerne ein kurzes Abstract beisteuern:
In den deutschen Medien und in der deutschen Politik ist oft vom „Jobmotor Mittelstand“ zu lesen. So lassen sich Reden von Bundeskanzlerin Angela Merkel finden, in denen sie weiteren tatkräftigen Einsatz für diese Unternehmen ankündigt:
„Die neue Regierung wird sich genau aus diesem Grund in ganz besonderer Weise für den Mittelstand einsetzen; denn dort lassen sich die meisten Quellen der Innovation finden. Dort ist der Jobmotor am wirkungsvollsten und werden die meisten Ausbildungsplätze bereitgestellt.“
[Deutscher Bundestag 2005, S. 82]
Dabei ist für eine fundierte Analyse dieser Aussage zuerst eine Definition des Begriffs „Mittelstand“ notwendig. Hier erweist sich die Tatsache als erschwerend, dass der Begriff des „wirtschaftlichen Mittelstandes“ ausschließlich in Deutschland und sonst in keinem anderen Land gebräuchlich ist. Im Gegensatz hierzu wird meist von kleinen und mittleren Unternehmen gesprochen [vgl. Europäischen Kommission 2003, S. 124/39]. Bereits Ludwig Erhard verwendete den Begriff vor 45 Jahren und verkündete: „Wenn wir Mittelstand nur vom Materiellen her begreifen, wenn man Mittelstand sozusagen nur an der Steuertabelle ablesen kann …, dann ist dem Mittelstandsbegriff meiner Ansicht nach eine sehr gefährliche Wendung gegeben. Der Mittelstand kann materiell in seiner Bedeutung nicht voll ausgewogen werden, sondern er ist … viel stärker ausgeprägt durch eine Gesinnung und eine Haltung im gesellschaftswirtschaftlichen und politischen Prozess.“ [Erhard 1956, S. 54]
Wie der Begriff allerdings nun genau definiert und von ihnen verwendet wurde, bleiben uns beide Politiker schuldig. Selbst heute findet man in der einschlägigen Literatur verschiedene Definitionen des Begriffs, die sich grundlegend unterscheiden.
Im Folgenden sollen nun die existenten Definitionen vorgestellt und näher auf deren Differenzen eingegangen werden. Kritisch hinterfragt werden auch statistische Auswertungen zum Mittelstand und deren Aussagekraft.
Die Definition des Mittelstandes umfasst sowohl ökonomische als auch gesellschaftliche und psychologische Aspekte und enthält sowohl quantitative als auch qualitative Merkmale. [Günterberg / Wolter 2008, S. 1]
Bereits bei der quantitativen Einteilung des Mittelstandes zeigen sich erste grundlegende Unterschiede. So besteht laut der Definition des Instituts für
Mittelstandsforschung in Bonn (IFM), der Mittelstand aus Unternehmen mit bis zu 499 Mitarbeitern und einem Umsatz von weniger als 50 Millionen EUR im Jahr.
Unternehmensgröße |
Beschäftigte |
Umsatz in €/Jahr |
Klein |
bis 9 |
bis unter 1 Mill. € |
Mittel |
10 bis 499 |
1 bis unter 50 Mill. € |
Groß |
500 und mehr |
50 Mill. € und mehr |
Folgt man diesen Kategorien, gehörten 99,7% der Unternehmen in Deutschland im Jahr 2004 zum Mittelstand und beschäftigen zusammen knapp 71% der arbeitenden Bevölkerung. [vgl. Hauser 2007, S. 3+5]
Auch die Europäische Kommission hat 2003 einen Vorschlag zur Gruppierung von Unternehmen vorgestellt, welcher unter dem Begriff KMU (Kleine und mittlere Unternehmen) Betriebe mit bis zu 249 Beschäftigten versteht. [Europäischen Kommission 2003, S. 124/39]
-
Unternehmensgröße |
Beschäftigte |
Umsatz in €/Jahr |
Jahresbilanz |
Kleinstunternehmen |
0-9 |
bis 2 Mill. € |
bis 2 Mill. € |
Kleinunternehmen |
10-49 |
bis 10 Mill. € |
bis 10 Mill. € |
Mittleres Unternehmen |
50-249 |
bis 50 Mill. € |
bis 43 Mill. € |
KMU zusammen |
Unter 250 |
bis 50 Mill. € |
bis 43 Mill. € |
Diese dürfen weiter einen maximalen Jahresumsatz von 50 Millionen EUR oder bis 43 Millionen EUR Jahresbilanz ausweisen. Auch dürfen Unternehmen, die zur Gruppe der KMU gezählt werden, nicht mit mehr als 25% im Besitz eines oder mehrerer Unternehmen stehen, die diese EU-Definition nicht erfüllen. [Europäischen Kommission 2003, S. 124/37]
Allein die Differenz bei der Anzahl der Beschäftigten, führt zu einer problematischen Bewertung, wie viele Arbeitsplätze durch diese KMU’s bzw. den Mittelstand bereitgestellt werden. Denn wie die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit zeigt, können beispielsweise 2007 knapp 8200 Betriebe und mehr als 2,8 Millionen Beschäftigte entweder dem Mittelstand (nach IFM-Definition) oder den Großunternehmen (nach EU-Definition) zugerechnet werden.
Betriebsgrößenklassen |
30.06.01 |
30.06.02 |
30.06.03 |
30.06.04 |
30.06.05 |
30.06.06 |
30.06.07 |
1 – 5 |
Betriebe |
1.457.809 |
1.449.636 |
1.433.183 |
1.417.010 |
1.402.442 |
1.399.003 |
1.413.987 |
|
Beschäftigte |
3.167.851 |
3.148.719 |
3.112.584 |
3.071.286 |
3.031.445 |
3.014.055 |
3.040.417 |
6 – 9 |
Betriebe |
256.498 |
255.380 |
248.603 |
242.796 |
238.617 |
238.017 |
239.772 |
|
Beschäftigte |
1.849.960 |
1.841.690 |
1.791.906 |
1.750.044 |
1.720.845 |
1.715.757 |
1.728.375 |
10 – 19 |
Betriebe |
202.871 |
201.727 |
195.767 |
190.738 |
187.441 |
186.903 |
189.210 |
|
Beschäftigte |
2.718.272 |
2.703.642 |
2.621.447 |
2.555.282 |
2.511.537 |
2.504.635 |
2.535.426 |
20 – 49 |
Betriebe |
128.738 |
127.336 |
123.790 |
121.189 |
119.101 |
119.793 |
122.295 |
|
Beschäftigte |
3.899.082 |
3.855.441 |
3.744.504 |
3.673.170 |
3.608.795 |
3.632.834 |
3.713.368 |
50 – 99 |
Betriebe |
46.531 |
46.230 |
45.179 |
44.626 |
44.358 |
44.846 |
46.088 |
|
Beschäftigte |
3.212.303 |
3.191.357 |
3.120.214 |
3.084.619 |
3.064.424 |
3.100.955 |
3.190.904 |
100 – 199 |
Betriebe |
22.750 |
22.697 |
22.262 |
22.283 |
22.176 |
22.680 |
23.394 |
|
Beschäftigte |
3.129.713 |
3.124.631 |
3.058.896 |
3.065.129 |
3.049.218 |
3.122.841 |
3.227.853 |
200 – 249 |
Betriebe |
4.342 |
4.284 |
4.279 |
4.194 |
4.177 |
4.318 |
4.408 |
|
Beschäftigte |
966.160 |
952.748 |
950.847 |
934.480 |
929.641 |
961.146 |
980.691 |
250 – 499 |
Betriebe |
8.226 |
8.165 |
8.039 |
7.906 |
7.757 |
7.910 |
8.185 |
|
Beschäftigte |
2.823.746 |
2.808.398 |
2.766.726 |
2.721.035 |
2.671.228 |
2.718.392 |
2.808.693 |
> 500 |
Betriebe |
5.046 |
4.943 |
4.766 |
4.715 |
4.643 |
4.689 |
4.747 |
|
Beschäftigte |
6.050.027 |
5.944.521 |
5.787.562 |
5.668.937 |
5.591.133 |
5.583.721 |
5.628.839 |
Insgesamt |
Betriebe |
2.132.811 |
2.120.398 |
2.085.868 |
2.055.457 |
2.030.712 |
2.028.159 |
2.052.086 |
|
Beschäftigte |
27.817.114 |
27.571.147 |
26.954.686 |
26.523.982 |
26.178.266 |
26.354.336 |
26.854.566 |
Statistik Betriebsgrößenklassen der Bundesanstalt für Arbeit
Quelle: http://www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/detail/b.html
Betrachtet man nun lediglich die Anzahl der Betriebe, erscheint die Zuordnung und deren Auswirkung auf die Statistik, vernachlässigbar. Denn in Bezug auf die Gesamtzahl der Unternehmen in Deutschland, fallen nur 0,21% in diese Größenklasse mit 250 bis 499 Beschäftigten.
Betrachtet man allerdings die Anzahl der bereitgestellten Arbeitsplätze, lässt sich das Problem schnell nachvollziehen. Denn hier wird klar, dass Unternehmen dieser Größenklassen knapp 10,5% der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze bereitstellen.
Da diese 2,8 Millionen Beschäftigten je nach Betrachtungsweise zum Mittelstand oder zu den Großunternehmen gezählt werden, macht die Auswertungen von statistischen Daten ohne Angabe der Definition des Mittelstandes, problematisch bzw. unmöglich. Aus diesem Grund muss auch die Entwicklung der Beschäftigung immer in Bezug zu dieser Definition betrachtet werden. So entstehen bei der Interpretation von Zahlen der Daten der Bundesanstalt für Arbeit zwei grundlegend unterschiedliche Grafiken.
Um nun zur Aussage „Jobmotor Mittelstand“ Stellung nehmen zu können, sind jedoch die Veränderungen interessant.
Geht man von der Definition des IFM aus, war der Mittelstand vor allem in den Jahren 2006 und 2007 für den Großteil der neu entstandenen Arbeitsplätze verantwortlich. Betrachtet man allerdings die Veränderungen seit dem Jahr 2000 und summiert diese, stellt sich die Sachlage anders dar. Denn dann ist zu erkennen, dass vom Mittelstand zwar knapp 13.700 Arbeitsplätze weniger als bei den Großbetriebe abgebaut wurden, aber auch hier mehr als 307.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als gewagt und irreführend, von einem Jobmotor zu sprechen.
Betrachtet man die Beschäftigungsentwicklung des Mittelstandes und der Großunternehmen nach EU-Definition, stellt sich die Lage der letzten Jahre ähnlich dar. Auch hier wurden vom Mittelstand proportional wesentlich mehr Arbeitsplätze geschaffen, als von den Großbetrieben.
Betrachtet man jedoch auch hier die Entwicklung der letzten Jahre, schneidet der Mittelstand sogar mit 352.000 abgebauten Arbeitsplätzen wesentlich schlechter ab als die Großunternehmen mit 276.000 abgebauten Arbeitsplätzen.
Vergleicht man nun diese Daten mit denen einschlägiger Institute, wie dem des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn (IFM), sind selbst deren Aussagen zumindest kritisch zu hinterfragen bzw. nicht nachvollziehbar (vgl. beispielsweise die Daten der Beschäftigungsentwicklung in [Wallau 2007], S. 7).
Teilweise zeigen sie jedoch auch eindrucksvoll, welche Auswirkungen beide Definitionen auf die Interpretation von Umfrageergebnissen haben.
Denn ja nach zugrundeliegender Definition werden die 59,1% Unternehmen mit gestiegener Beschäftigung zum Mittelstand (IFM-Definition) oder zu den Großbetrieben (EU-Definiton) gezählt.
So müssen allgemeine Aussagen zum „Jobmotor Mittelstand“ kritisch hinterfragt werden. Denn objektiv betrachtet, wurden in den letzten Jahren sowohl im Mittelstand als auch in der Großindustrie viele Arbeitsplätze abgebaut und auch wieder geschaffen. Ein Zusammenhang zwischen der Betriebsgröße und diesen Fluktuationen lässt sich dabei nicht erkennen. Aus diesem Grund sollten Initiativen der Bundesregierung zur Förderung des Mittelstandes2 kritisch hinterfragt werden, die so bestimmte Unternehmen gezielt bevorzugt.
Offline-Quellen:
Erhard, Ludwig (1956): Mittelstandspolitik, In: Rüstow, A. u.a.: (Hrsg.), Der mittelständische Unternehmer in der Sozialen Marktwirtschaft.Wortlaut der Vorträge auf der vierten Arbeitstagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V.am 17.11.1955 in Bad Godesberg, 1. Aufl., Ludwigsburg.